- Verlag: Arena Verlag
- Herausgeber: Arena Verlag
- Erhältlich in: Taschenbuch
- ISBN: 3401027395
- Veröffentlicht: April 14, 2017
Der 13-jährige John lebt seit einiger Zeit mit seinen beiden kleinen Geschwistern und seiner alleinerziehenden Mutter in einer neuen Stadt. Sie sind schon oft umgezogen, gescheitert – diesmal soll es klappen. John hat einen genauen Plan und behält diesmal alle Fäden in der Hand. Und es klappt: John ist beliebt in der Schule, wird zu den angesagten Partys eingeladen und verliebt sich in ein wunderbares Mädchen. Alles könnte so perfekt sein. Doch dann wird Johns Mutter schwanger, gibt ihren Job auf und stürzt die Familie erneut in finanzielle Nöte. Aber John ist ein Kömpfer, er gibt nicht auf. Er tut alles dafür, die Fassade intakt zu halten. Keiner soll etwas merken. Nicht die Freunde, nicht die Lehrer – und erst recht nicht Miriam.
Keiner soll etwas merken. Auch nicht, dass die Mutter schon längst ausgezogen ist.
“Mit John hat Thomas Fuchs einen faszinierenden und starken Charakter erschaffen, der uns in den Bann zieht und nicht mehr loslässt.” LeseZeit
“Schockierend … und leider auch Realtität.” Amazon
“Ein Buch das nachdenklich stimmt, berührt – und viele Dinge in ein anderes Licht rückt” Schweizerisches Institut für Kinder und Jugendmedien
Besprechung von 26.03.2008
John – allein zu Haus
Wie ein 13-jähriger Junge eigenverantwortlich seine Geschwister versorgt
Im April 2006 wendet sich ein Zwölfjähriger an das Berliner Jugendamt, weil er sich von seiner Lebenssituation überfordert fühlt; seit einem dreiviertel Jahr lebt er mit seinen drei jüngeren Geschwistern alleine in einer Wohnung in Berlin. Die Mutter ist zu ihrem Freund gezogen. Sie bringt den Kindern lediglich hin und wieder Geld. Soweit die knappe Nachricht in der Zeitung.
Thomas Fuchs hat in seinem Roman „Alleingelassen” diese Geschichte mit Leben gefüllt. Die Hauptfigur ist der 13-jährige John, ein kluger und für sein Alter unglaublich tüchtiger Junge. Die Familie – seine Mutter und zwei jüngere Geschwister – ist schon oft umgezogen, auf der Flucht vor Schulden und anderen Schwierigkeiten. Die Väter der Kinder sind verschwunden und zahlen keine Alimente. Nun wagt die Familie einen Neuanfang in einer Kleinstadt. Die Mutter findet einen Job in einer Gärtnerei, und die vier können sogar eine schöne Neubauwohnung beziehen. John will die Chance nutzen, jetzt alles richtig zu machen, um „dazuzugehören”.
Wer als Kind eines Hartz-IV-Empfängers bekannt ist, hat bei den Gleichaltrigen schnell ausgespielt, das hat John schon oft erfahren und daraus gelernt. Er weiß jetzt, was man anziehen muss, welche Worte man gebrauchen darf und welche uncool sind, welche Musik in den richtigen Kreisen angesagt ist und welche Vornamen die soziale Schicht verraten. Er selbst lässt sic jetzt Jonathan nennen. Seine Mutter ist allerdings nicht so tüchtig: John muss ihr bei Behördengängen helfen, und er versucht nach Kräften, niemanden erfahren zu lassen, wie arm sie eigentlich sind. Es gelingt ihnen auch lange, die bürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten. Der Autor setzt, wie in einer Fernsehdokumentation, den Erzählungen des Jungen immer kurze Einschätzungen Außenstehender wie von Nachbarn, Lehrern und Klassenkameraden gegenüber. Das erhöht die Spannung, denn der Leser weiß weniger als diese Augenzeugen.
Eine Weile läuft alles recht gut. Thomas Fuchs beschreibt sehr genau die feinen Unterschiede, die eine soziale Schicht von der anderen trennen. Die Mutter lernt sogar einen netten Mann mit Hund und Eigentumswohnung kennen. Sie verliebt sich in ihn und wird schwanger. Nun malen sich die Kinder eine glückliche Patchwork-Familie aus und freuen sich über den Zuwachs. Doch irgendwie spielen die Erwachsenen da nicht so mit. Der neue Mann der Mutter will zwar gerne Vater sein, aber nicht gleich von vier Kindern, die entsprechend teuer und anstrengend sind. Die Mutter übernachtet immer öfter bei ihrem Freund, kündigt schließlich sogar ihren Job und zieht „nur für den Sommer” zu ihm in ein Gartenhäuschen.
Die Kinder bleiben allein in der Wohnung und genießen anfangs noch die Freiheiten, vor allem John. Auch der Mutter gefällt das Arrangement. Die Kinder kommen ja offensichtlich so gut ohne sie zurecht. Doch dann fehlt das Geld, das Chaos in der Wohnung nimmt überhand, und die kleinen Geschwister machen Probleme. John tröstet sich immer wieder mit der Hoffnung, dass es bald besser wird. Wenn das Baby erst auf der Welt sei, werde die Mutter wohl zu ihnen zurückkommen. Die Geschwister wollen die bürgerliche Fassade um jeden Preis aufrechterhalten und versuchen das Handeln der Mutter zu decken. Sie lassen sich deswegen auch von wohlmeinenden Lehrern oder Freunden nicht in die Karten schauen.
Mit der Charakterisierung des 13-jährigen John hat Thomas Fuchs zwar etwas dick aufgetragen – der Junge schreibt für seine Mutter Briefe, schmeißt den Haushalt, weiß, wie man Lehrern um den Bart geht, ist ein brillanter Schüler und verdient noch nebenbei Geld. Dennoch ist Fuchs ein den Leser packendes Buch gelungen. BIRGITT VON MALTZAHN
THOMAS FUCHS: Alleingelassen. Arena-Verlag, Würzburg 2008. 169 Seiten, 5,95 Euro. Ab 13
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Zu diesem Buch habe ich viele Kritiken erhalten und da zu meiner großen Freude dieses Buch den Weg in die Schulen gefunden hat, bekam und bekomme ich auch jetzt noch viel Post zu dieser Geschichte.
Ihnen allen mein Dank.
Da viele Leserinnen und Leser Fragen zu diesem Buch haben, veröffentliche ich nachfolgend den Text einer Antwortmail auf die häufigsten Fragen.
Liebe Leserin, lieber Leser,
vielen Dank für Deine Mail und ich freue mich, dass die Geschichte bei Dir Fragen aufgeworfen hat.
Gerne werde ich Dir mehr über dieses Buch erzählen.
Normalerweise schreibe ich keine Bücher nach wahren Begebenheiten, dies ist eine Ausnahme gewesen. Ich war dabei mit der Lektorin vom Arena Verlag ein neues Buchprojekt zu entwickeln, wir kamen nicht recht voran, ich hatte meine Ideen, die denen im Verlag aber nicht so richtig gefielen. Und in dieser Situation hinein las ich die Meldung im Berliner Tagesspiegel. Die Meldung rührte mich ungeheuer an, in meinem Kopf entwickelte sich sofort eine Geschichte und ich fragte mich, meine Güte, wie hat der Junge das durchgehalten?
Wie konnte das geschehen, wieso hat niemand etwas bemerkt?
Dann habe ich denen im Verlag davon erzählt, dass ich diese Geschichte schreiben möchte, jetzt, sofort, ganz aktuell.
Zu meiner Freude haben die ja gesagt.
Wichtig war mir dann aber dabei, dass ich nicht die wahre Geschichte des Jungen aus dem Zeitungsartikel erzählt habe, sondern meine Geschichte. Ich habe den Jungen nie getroffen, nie mit ihm gesprochen. Alles was ich hatte waren die Bilder, die Artikel in den Zeitungen.
Der John den ich gezeichnet habe, hat viel eher mit einem Jungen zu tun, den ich vorher in meinem Leben getroffen habe. Oder mit dessen Leben, dessen Familie.
Als ich sechszehn war, haben meine Eltern entschieden, ein Pflegekind in unsere Familie aufzunehmen. Der Junge war damals neun Jahre alt und blieb zehn Jahre bei uns. Johns Lebensgeschicht ist letztlich die Geschichte dieses Pflegekindes, der ebenfalls von seiner Mutter im Stich gelassen wurde. All dies hatte ich miterlebt und konnte nichts dagegen machen.
Daher ist mein Buch keine wahre Geschichte und irgendwie doch. Aber ein “wahres” Buch, einen Tatsachenroman könnte ich nicht schreiben, weil ich Angst hätte den wahren Menschen nicht gerecht zu werden, sie falsch darzustellen und sie zu verletzen.
Wie gesagt, “alleingelassen” ist Fiktion, der Artikel war Anstoß zu meiner Geschichte, mehr nicht.
Normalerweise brauche ich für einen Roman etwa ein bis anderthalb Jahre. Bei diesem Buch war es anders. Ich habe es wie in einem Rausch in drei Monaten geschrieben. Die Geschichte war in meinem Kopf bereits fertig, bevor ich die erste Zeile getippt habe.
Ich bekommme oft bei diesem Buch vorgeworfen, dass es kein Happy End gibt, in vielen Kommentaren auf meine Homepage bemängeln Leser dies.
Und ich mag selbst auch eher Bücher, die gut enden.
Doch in diesem Falle konnte ich das nicht machen.
Denn die wahre Geschichte der vier Kinder ist leider gar nicht gut geendet. Anfangs berichteten die Zeitungen noch, dass die Kinder alle zusammen in einer Pflegefamilie gelandet sind, dass die Mutter Hilfe erhalten, Beratung und das alles getan werden würde, damit die Kinder zusammenbleiben könnten.
Doch die letzte Meldung war dann, die Mutter habe sich dauerhaft als erziehungsunfähig erwiesen und die Kinder wären auf drei verschiedene Heime aufgeteilt worden. Wofür der Jugne gekämpft hatte, dass wenigstens seine Geschwister zusammenbleiben könnten, damit ist er tragischerweise gescheitert. Wenn ich nun ein Happy End zusammengedrechselt hätte, wäre ich mir wie ein Verräter an ihm vorgekommen.
Ein paar Monate, nachdem mein Buch erschienen war, kündigte das ZDF einen Fernsehfilm zu diesem Thema an. Auch hier die wahre Geschichte aus Berlin vorbild, hatte die Mutter die Familie verlassen und die Kinder mussten monatelang allein klar kommen. Doch im Film zog dann am Ende die nette Stewardess mit ihrem Freund in die Wohnung unterhalb der Kinder ein. Und die adoptierte dann einfach die drei süßen Kinder und alle fuhren am Ende im neuen Beetle Cabrio in den Sonnenuntergang.
Da ist mir beim Zusehen schlecht geworden.
Oft werde ich auch gefragt, ob es eine Fortsetzung geben wird. Doch da wüsste ich nicht, was ich erzählen sollte.
Beste Grüße
Thomas Fuchs